MODERNES BIEDERMEIER: DAS LEOPOLD MUSEUM ZEIGT EINE EPOCHE VOLLER GEGENSÄTZE

11.04.2025

Der faszinierenden Kunstströmung des Biedermeier widmet das Leopold Museum eine große Frühjahrsausstellung unter dem Titel Biedermeier. Eine Epoche im Aufbruch.

190 Werke von mehr als 70 Künstler*innen – Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, dazu Möbel, Glas, Porzellan, Kleider und Archivalien – geben Einblick in eine innovationsfreudige Ära, die vom Wiener Kongress 1814/15 bis zu den Jahren rund um die bürgerliche Revolution von 1848 reicht. Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege war Europa von massiven politischen und sozialen Umbrüchen geprägt, die einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel mit sich brachten. Im Fokus der Biedermeierschau stehen – über das Kunstschaffen in der Metropole Wien, als damaliger Haupt- und Residenzhauptstadt des Habsburgerreiche hinaus – die prachtvollen Zentren der Kronländer wie Budapest, Prag, Ljubljana, Venedig oder Mailand. Der Blick richtet sich auf Wiener Meister wie Ferdinand Georg Waldmüller, Friedrich von Amerling oder Peter Fendi und herausragende Künstler*innen aus verschiedenen Teilen der damaligen Donaumonarchie, unter ihnen Künstler wie der Ungar Miklós Barabás, der tschechische Maler Antonín Machek, der Venezianer Francesco Hayez oder der Slowene Jožef Tominc.

 

„Zwischen 1855 und 1857 schufen Adolf Kußmaul und Ludwig Eichrodt für das in München erscheinende satirische Wochenmagazin Fliegende Blätter die fiktionale Figur des ,Weiland Gottlieb Biedermaier‘, eines Dichters, in dessen Namen sie parodistische Gedichte schrieben. Er wurde zum Namensgeber für die Epoche zwischen 1815 und 1848, eine der wichtigsten ablesbaren Perioden der heimischen Kunstentwicklung, meist auf Österreich und Deutschland bezogen. Die Ausstellung im Leopold Museum fokussiert auf das Österreich seiner damaligen territorialen Grenzen, wodurch sich ein viel bunteres und interessanteres Bild ergibt.“

Johann Kräftner, Kurator der Ausstellung

 

Die umfassende Zusammenstellung präsentiert ausgewählte Werke der Sammlung des Leopold Museum sowie Leihgaben nationaler und internationaler Institutionen und Privatsammlungen.

 

„Ein Aktualitätsbezug dieser Schau, der zugleich einen Brückenschlag über 200 Jahre Geschichte darstellt, ist das zunehmende Aufkommen der Begrifflichkeit des Neo-Biedermeier, etwa seitens der Philosophie und Soziologie. Auch in unserer Zeit sind vergleichbare Daseinsgefühle evident, die einen nostalgischen Rückzug ins Private, ohne Interesse an der Teilhabe an demokratischen Strukturen, als kulturelles Phänomen zeitigen. Den Hintergrund bilden heute die Ängste vor der Globalisierung, vor Kriegen und Migrationsbewegungen oder vor dem Verlust der Privatsphäre in einer digitalisierten, zunehmend von Robotik und den Algorithmen einer künstlichen Intelligenz gesteuerten und überwachten Welt.“

Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museum

 

Am Beginn der Ausstellung stehen urbane Entwicklungen in Wien und den Hauptstädten der Habsburgermonarchie. Wiens Expansion waren bis zur Entfestigung 1857 durch die Stadtmauer enge Grenzen gesetzt, doch auch im biedermeierlichen Wien wurden bereits ganze Straßenzüge erneuert oder neu angelegt und es wurden Bürger- und Zinshäuser erbaut. Manufakturen, Hotels, Tanzsäle oder Schwimmbäder sorgten für eine Belebung und Modernisierung der Stadt. In Budapest wurden entlang der Donau Stadtplätze und Straßenzüge mit Zinshausbauten und prachtvollen Palais des ungarischen Adels neu ausgerichtet. Bedeutende Impulse wurden unter der österreichischen Verwaltung auch in den norditalienischen Metropolen gesetzt, es entstanden moderne Theater, Konzerthäuser, Museen, Kaffeehäuser, Schulen und Fabriken.

Rückzug ins Private, urbane Gesellschaft und ländliche Idyllen

Durch die Stärkung des Absolutismus und die Unterdrückung demokratischer Bestrebungen in Folge des Wiener Kongresses zog man sich aus Angst vor Repressalien ins Private zurück. Themen wie die Sehnsucht nach Geborgenheit und Harmonie im familiären Alltag fanden Eingang in die Bildinhalte. Trotz weit verbreiteter bitterer Armut bildete sich durch den wirtschaftlichen Aufschwung ein selbstbewusstes Bürgertum heraus, das sich stolz porträtieren ließ und Einblicke in die Werte der vornehmlich urbanen Gesellschaft ermöglichte. Als Gegenentwurf rückte das bescheidene, idyllische Landleben in den Fokus. Künstler*innen und Wissenschaftler*innen erkundeten die österreichischen Alpen ebenso wie ferne Länder und Städte, stillten die Sehnsucht nach Neuem und Unbekanntem und das Interesse an fremden Kulturen.

Innovationen und industrieller Fortschritt

Es war eine Zeit großer Innovationen und ästhetischer Umbrüche. Seit der Erfindung der Dampfmaschine im Jahr 1769 und der Gründung der ersten industriellen Baumwollspinnerei der Welt in England, schritt die Industrialisierung unaufhaltsam voran. Der industrielle Fortschritt wurde zur wichtigsten Antriebsfeder des Wirtschaftslebens, Textilfabriken nahmen den Betrieb auf, erste Eisenbahnlinien wurden gebaut und spektakuläre Hängebrücken wurden errichtet, wie etwa die Kettenbrücke zwischen Buda und Pest.

Biedermeierlandschaften

Die Maler*innen des Biedermeier reisten in das Salzkammergut und in das Voralpengebiet und schufen realistische Naturdarstellungen. Neben präzisen Zeichnungen sowie atmosphärischen Kupferstichen und Radierungen konnte mittels der Lithografie kostengünstig ein breiter Kreis von Abnehmer*innen erreicht werden.

Der Blick in die Ferne

Der Handel erlebte zur Zeit des Biedermeier eine neue Blüte. Wien, Budapest und die Hafenstadt Triest standen im Warenaustausch mit dem Nahen Osten, aus Alexandria und Damaskus importierte man Luxusgüter. Die Lombardei als Zentrum der Produktion von Rohseide belieferten die prosperierenden Wiener Manufakturen. Wissenschaftliches Interesse führte Künstler*innen in ferne Länder: Thomas Ender begleitete eine von Kaiser Franz I. angeordnete Expedition nach Brasilien. Hubert Sattler schuf auf seinen Weltreisen großformatige Veduten von Konstantinopel (heute: Istanbul), Kairo oder New York.

Interieur und Mode des Biedermeier

In den Aquarellen von Rudolf von Alt oder Thomas Ender kommt der Interieurdarstellung besondere Bedeutung zu. An den mit aufregenden Tapetenmustern gestalteten Wänden hängen Stiche, Aquarelle oder Ölbilder oft in mehreren Reihen übereinander. Innenausstattung und Möbel entwickelten einen neuen Kanon der Einfachheit, der sowohl vom Bürgertum als auch vom Adel geschätzt wurde und Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer Wiederentdeckung des Biedermeier durch Architekten wie Adolf Loos und Josef Hoffmann führte. Einen wunderbaren Eindruck der fantasievollen Biedermeiermode gewinnt man anhand von bildlichen Darstellungen in Malerei und Grafik als auch mittels originaler Kleiderstücke der Zeit.

Die Meister der Porträtkunst

In der Porträtmalerei wurde das Idealbild immer mehr durch eine möglichst realistische Wiedergabe abgelöst, bisweilen mit beinahe karikierenden Zügen. Die eigene Familie im Bild festzuhalten, wurde vor allem in höheren Gesellschaftskreisen Mode. Im Familienbild, etwa dem Aquarell Familienversammlung des österreichischen Kaiserhauses 1834 (1835), werden die Dargestellten in lebendiger Interaktion gezeigt. Gesellschaftliche Position und Wohlstand werden in den Bildern durch kostbare Textilien oder das Ambiente unterstrichen.

Alltagsgeschichten, Familienglück und Elend

Darstellungen von Szenen aus dem Alltag der Bäuerinnen, Bauern und Handwerker*innen erfreuten sich großer Beliebtheit. Ein Meister der Inszenierung von Alltagsgeschichten war Ferdinand Georg Waldmüller. In seinem Gemälde Wiedererstehen zu neuem Leben (1852) paart sich die Überhöhung und Verschönerung des Alltäglichen mit einer naturalistischen Darstellungsweise. Die Betrachter*innen fanden in diesen Werken ein optimistisches Lebensgefühl. Die Epoche brachte für die bürgerliche Oberschicht großen, bisweilen flüchtigen Reichtum. Gleichzeitig lebten andere Bevölkerungsschichten in bitterer Armut. Künstler*innen des Biedermeier wie Josef Danhauser beleuchteten dies sozialkritisch, teils mit bitterer Ironie.

 

Zur Ausstellung ist ein umfassender Katalog in deutscher und englischer Sprache erschienen, mit Beiträgen von Lili-Vienne Debus, Sabine Grabner, Johann Kräftner, Stefan Kutzenberger, Michaela Lindinger, Fernando Mazzocca, Juliane Mikoletzky, Adrienn Prágai und Radim Vondráček und einem Vorwort von Hans-Peter Wipplinger.

 

Link zur Ausstellungsseite

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Eröffnungsfeierlichkeiten

Der Einladung zu den Eröffnungsfeierlichkeiten durch Leopold Museum Direktor Hans-Peter Wipplinger folgten – in Anwesenheit der Leopold Museum-Vorstände Sonja Hammerschmid und Saskia Leopold sowie des kaufmännischen Direktors Moritz Stipsicz – rund 650 Gäste, darunter die Botschafter*innen Edit Szilágyiné Bátorfi (Ungarn), Vito Cecere (Deutschland), Aleksander Geržina (Slowenien), Jiří Šitler (Tschechische Republik), das Kurator*innenteam Johann Kräftner und Lili-Vienne Debus, die Katalogautor*innen Sabine Grabner, Stefan Kutzenberger, Michaela Lindinger, Juliane Mikoletzky und Radim Vondráček, die Leihgeber*innen Ernst Czerny, Wolfgang und Gabriele Liechtenstein sowie Johannes und Franz Meran, Sammlerin Waltraud Leopold, Agnes Husslein-Arco (Direktorin Heidi Horten Collection), Robert Lasshofer (VS-Vorsitzender Wiener Städtische Versicherungsverein), der im Kinsky Gesellschafter Michael Kovacek, René Schober (Kupferstichkabinett), Dorotheum-Expertin Marianne Hussl-Hörmann, die Galeristen Alexander und Herbert Giese, Julius Hummel, Hansjörg Krug, Peter Zimpel, Christian Huemer (Belvedere Research Center), Kuratorin Katharina Lovecky (Belvedere), Unternehmerin Maria Rauch-Kallat, Eva Maria Schmertzing-Thonet, Jakob Jelinek und Jürgen Pölzl (Komitee Salon Leopold), Christoph Thun-Hohenstein, Jin Hong Rim (Korea Kulturzentrum) u.v.m.

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