Nachruf Elisabeth Leopold
14.08.2024
LEOPOLD MUSEUM TRAUERT UM MITBEGRÜNDERIN DR. ELISABETH LEOPOLD
Mit tiefem Bedauern geben der Vorstand der Leopold Museum-Privatstiftung und das Direktorium des Leopold Museum bekannt, dass Dr. Elisabeth Leopold heute, am 14. August 2024 im 99. Lebensjahr im Kreis ihrer Familie friedlich verstorben ist. Der Stiftungsvorstand – bestehend aus dem Vorstandsvorsitzenden Josef Ostermayer und den Vorstandsmitgliedern Sonja Hammerschmid, Danielle Spera und der Enkelin Saskia Leopold – betrauern das Ableben dieser großen Persönlichkeit gemeinsam mit dem museologischen Direktor des Leopold Museum Hans-Peter Wipplinger und dem kaufmännischen Direktor Moritz Stipsicz.
Der bereits nach dem Tod des Museumsgründers Prof. Dr. Rudolf Leopold (1925–2010) eingeschlagene Weg wird im Sinne des Stifters und der Stiftungsurkunde und in Gedenken an das Sammlerpaar konsequent weitergeführt. Dies betrifft den Stiftungszweck, die vom Stifter gegründete Sammlung auf Dauer zu erhalten, diese der Öffentlichkeit durch Präsentationen im Museum wie im Ausland zugänglich zu machen sowie die Bestände zu dokumentieren und wissenschaftlich aufzuarbeiten. Schwerpunkt ist dabei die Darstellung der Wiener Moderne in ihrer Bedeutung für die kulturelle Entwicklung Österreichs.
„Mit tiefer Betroffenheit habe ich vernommen, dass Elisabeth Leopold von uns gegangen ist. Ihr Tod bedeutet für die österreichische Kunst- und Kulturwelt einen schweren Verlust. Im Namen des gesamten Teams des Leopold Museum möchte ich der Familie Leopold mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Elisabeth Leopold setzte sich gemeinsam mit ihrem Mann Rudolf mit Nachdruck und großer Überzeugungskraft für die Anerkennung der Österreichischen Moderne rund um Gustav Klimt und Egon Schiele ein. Über den Tod ihres Mannes hinaus setzte sie sich für die Wertschätzung der Sammlung und die Würdigung der damit verbundenen Verdienste des Sammlers ein. Zahlreiche vielbesuchte internationale Ausstellungen mit Werken der Sammlung Leopold, speziell zu Egon Schiele und seiner Zeit, u.a. in den USA, Japan, Deutschland, in der Schweiz, in Frankreich oder etwa Italien, trugen zur Weltgeltung der Kunst Wiens um 1900 bei. Das Leopold Museum als Bühne der Sammlung ist das in Stein gemeißelte Vermächtnis von Rudolf und Elisabeth Leopold. Der seit seiner Eröffnung im Jahr 2001 anhaltende und stetig wachsende Erfolg des Museums ist der beste Beweis dafür, dass das Leopold Museum und die Sammlung Leopold in den 24 Jahren seines Bestehens zu einem unverzichtbaren Teil der österreichischen Kulturlandschaft geworden sind.“
Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museum
Elisabeth Leopold war die „Seele des Hauses“, aber auch und vor allem die starke Frau an der Seite von Museumsgründer und Stifter Rudolf Leopold, die ihn durch wunderbare und schwierige Zeiten seines Sammlerlebens begleitete. Seit der Stiftungsgründung 1994 war Elisabeth Leopold Vorstandsmitglied auf Lebenszeit, eine Funktion, die sie mit großer Ernsthaftigkeit und beeindruckendem Enthusiasmus wahrnahm. Im Frühjahr 2022 zog sie sich auf eigenen Wunsch aus dem Vorstand zurück.
Für das Leopold Museum kuratierte Elisabeth Leopold die Ausstellung Körper, Gesicht & Seele. Frauenbilder vom 16. bis zum 21. Jahrhundert (2006), zeichnete im Rahmen der Ausstellung Ernst Barlach und Käthe Kollwitz (2009), welche sie gemeinsam mit Rudolf Leopold kuratierte, für die Kollwitz-Räume verantwortlich und war mit Ivan Ristić und Stefan Kutzenberger Ko-Kuratorin der Ausstellung Trotzdem Kunst! Österreich 1914–1918 (2014). Zusammen mit Franz Smola kuratierte sie mit Zauber der Landschaft. Von Waldmüller bis Boeckl (2016/17) eine Präsentation bedeutender Werke der Sammlung. Oft setzte sie sich für die Integration einzelner Kunstwerke in Ausstellungen ein, die ihr besonders am Herzen lagen, etwa ein Werk des von ihr sehr geschätzten Anton Romako in die Ausstellung Wolken. Welt des Flüchtigen (2013) oder eines Rubens-Werkes in die Schau nackte männer (2012/13). Diese aufsehenerregende Ausstellung, die sie, gleichsam als Pendant zur Schau Körper, Gesicht & Seele ins Leben rief und gemeinsam mit Tobias G. Natter kuratierte, war ihr ein besonderes Anliegen.
Auch zahlreiche publizistische Spuren hinterließ Elisabeth Leopold. 2008 veröffentlichte sie das Verzeichnis der Schiele-Gedichte im Buch Der Lyriker Egon Schiele. Briefe und Gedichte 1910–1912, das sie mit Sandra Tretter erarbeitete. 2013 gab Elisabeth Leopold mit Tobias G. Natter den Klimt-Bestandskatalog Gustav Klimt. Die Sammlung im Leopold Museum heraus. 2020 veröffentlichte sie die adaptierte Neuauflage des 1972 von Rudolf Leopold publizierten, ersten umfassenden Schiele-Gemäldeverzeichnisses Egon Schiele. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen. 2023 gab sie das Buch Die Gesichter des Egon Schiele heraus, welches sich den Selbstbildnissen Schieles widmet.
2017 wurde Elisabeth Leopold vom damaligen Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Josef Ostermayer. Im selben Jahr überreichte Kulturminister Thomas Drozda Elisabeth Leopold das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse. Die Laudatio hielt Rechtsanwalt Ernst Ploil, Sammler der Wiener Kunst um 1900. 2022 überreichte Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau von Niederösterreich, das „Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich“ an Elisabeth Leopold.
„Mit Elisabeth Leopold verliert unser Land eine der engagiertesten Kämpferinnen für die österreichische Kunst. Elisabeth Leopold war weit mehr als die Frau des Stifters. Die Entstehung der Sammlung war nur durch die kongeniale Symbiose von Rudolf und Elisabeth Leopold möglich. Seine unermüdliche Sammeltätigkeit hätte sich ohne sie an seiner Seite nicht in dieser Form realisieren lassen. Ihre bewundernswerte Vitalität und Herzlichkeit, ihr wenn nötig strenges aber gleichzeitig verständnis- und humorvolles Wesen und vor allem ihre Liebe und Hingabe für die Kunst machten sie zu einer unverzichtbaren Partnerin.“
Josef Ostermayer, Vorstandsvorsitzender Leopold Museum-Privatstiftung
„VERSTEHEN, WAS KUNST VON HOHER QUALITÄT IST“ – ZUM TOD VON ELISABETH LEOPOLD
Geboren am 3. März 1926 in Wien als Elisabeth Schmid, wuchs Elisabeth Leopold in finanziell bescheidenen Verhältnissen bei ihrer Großmutter in Hernals auf. Ihre Eltern sah sie aufgrund einer Erkrankung des Vaters nur am Wochenende. Bereits die Urgroßmutter arbeitete für jene Unternehmerfamilie, die die Prag-Rudniker Korbwaren-Fabrikation leitete, deren Hauptsitz sich seit 1910 in Wien befand. Die Großmutter, ebenfalls in der Firma beschäftigt, war Ida Reich, der Dame des Hauses, sehr verbunden. Elisabeth Schmid gelang 1936 die Aufnahmeprüfung für das nach dem ersten Weltkrieg als fortschrittliche Institution gegründete Mädchengymnasium Boerhaavegasse im dritten Wiener Gemeindebezirk, das 1939, nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, aus Sicherheitsgründen ins niederösterreichische Türnitz verlegt wurde. Aus disziplinären Gründen – Elisabeth Schmid konnte die vorherrschende Nazidiktion nicht ernst nehmen – wurde sie aus der Schule ausgeschlossen, offiziell wurden gesundheitliche Gründe genannt. Zurück in Wien absolvierte sie das Gymnasium in der Wenzgasse in Hietzing, wo sie 1944 maturierte.
Im Wintersemester 1945 begann Elisabeth Schmid das Studium an der medizinischen Fakultät der Universität Wien. Hier lernte sie 1946 ihren Studienkollegen Rudolf Leopold kennen. Schon nach wenigen Wochen waren die beiden ein Paar. 1951 promovierte Elisabeth Schmid, 1953 heiratete sie Rudolf Leopold. Beide übten nach dem Abschluss des Studiums den Beruf der Augenärztin aus und führten eigene Praxen, wobei Elisabeth Leopold ihren Mann immer wieder vertrat, wenn er in Zusammenhang mit seiner Sammlertätigkeit kurzfristig, etwa aufgrund von Auktionen oder Galeriebesuchen, verreisen musste. Elisabeth Leopold war bis zu ihrem 69. Lebensjahr beruflich tätig.
Rudolf Leopold studierte auch Jus und Kunstgeschichte. Mit Elisabeth Leopold verband ihn von Anfang an die Liebe zu Musik und Kunst, die sie auch an ihre drei Kinder Rudolf (geb. 1954), Diethard (geb. 1956) und Gerda (geb. 1959) weitergaben.
Elisabeth Leopold schenkte ihrem Mann viel Geduld und gab ihm Sicherheit. Liesl, wie er sie liebevoll nannte, war auch eine unverzichtbare Gesprächspartnerin für ihn, sie wiederum lernte viel von der Auffassungsgabe ihres Mannes. Im Rahmen von Führungen, Ansprachen, als Katalogautorin und, nach dem Tod Ihres Mannes, auch bei Eröffnungsreden und Pressekonferenzen brachte sie ihr Wissen und ihre Erfahrung ein.
„Als seine Begleiterin lernte ich, ohne über eigene Beurteilungskriterien zu verfügen, zu verstehen, was Kunst von hoher Qualität ist. Durch ihn begriff ich, dass es nichts zu bedeuten hatte, ob ein Maler unbekannt ist, konnte er doch trotzdem gut sein.“
Elisabeth Leopold, 2014 im Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks in Kunstforum International
„Das Leopold Museum ist heute ein Monument für den großen Sammler und passionierten Kunstliebhaber Rudolf Leopold, dessen Leidenschaft es bewirkt hat, dass die österreichische Kunst heute in die ganze Welt ausstrahlt.“
Elisabeth Leopold in 10 Jahre Leopold Museum 2001–2011
„Ich wünsche mir […] vor allem, dass über meinen Tod hinaus die Vision von Rudolf Leopold erhalten bleibt, der großen Kunst in Österreich und ihrer Geschichte in diesem Haus ein bleibendes Denkmal zu setzen.“
Elisabeth Leopold in 20 Jahre Leopold Museum 2001–2021
Elisabeth Leopold hatte viel Sinn für Humor, war schlagfertig und schätzte klare Worte. Ein Ja oder Nein lagen ihr mehr als ausweichende Antworten. Sie war eine gute Zuhörerin und setzte sich für Schwächere ein. Stets hatte sie aufmunternde Worte bereit. Dem Verein Freunde des Leopold Museum, mit dem Elisabeth Leopold zahlreiche Kunstreisen unternahm, war sie bis zuletzt verbunden.
Für den Aufbau der gemeinsamen Kunstsammlung, die bei der Gründung der Stiftung im Jahr 1994 bereits über 5200 Kunstwerke umfasste, musste Elisabeth Leopold auf so manche Annehmlichkeit verzichten. Der Großteil des Einkommens floss in Kunstankäufe oder in die Finanzierung von Bankkrediten für die Erweiterung oder die Erhaltung der Sammlung. Der Ernst und die Beharrlichkeit, mit der Rudolf Leopold seinen Weg zielstrebig verfolgte, beeindruckte Elisabeth Leopold sehr. Mehr als 60 Jahre lang begleitete sie ihren Mann bei seinem Engagement um die heimische und internationale Anerkennung Egon Schieles und der Wiener Moderne.
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