Wiener Geschichten

WIEN

UND DER WEIN

Leopold Museum Blog

Der vergorene Traubensaft und die Hauptstadt gehören seit jeher zusammen. Wien rühmt sich, die einzige Metropole der Welt zu sein, in der Weinbau eine ökonomisch wichtige Rolle spielt. Der Gemischte Satz erfreut sich internationaler Beliebtheit und die Heurigenkultur wird von Einheimischen wie auch Reisenden begeistert gepflegt.

Bereits die Römer brachten den Weinbau nach Wien. Im Mittelalter wurde der Stephansdom mithilfe von „Reifbeisser“, vulgo saurem Wein, errichtet. Der Gelehrte Johannes Cuspinian überlieferte aus 80-jähriger Distanz, dass 1450 der Zement für das Fundament des Nordturms mit ungenießbarem Wein angerührt worden wäre. Naturwissenschaftliche Untersuchungen mittelalterlicher Bauten haben inzwischen die Korrektheit dieser Angabe bestätigt. Damit ist sogar das Wahrzeichen Wiens mit dem Wein untrennbar verbunden.

Das „Rebenmeer“ des 14. und 15. Jahrhunderts wich nach und nach der Verbauung, sodass die Wienerinnen und Wiener seit dem Barock in die Vorstädte zum Heurigen pilgerten. Landschaftsbilder aus dem weinseeligen Wien zeigen deshalb kaum die innere Stadt, in der man bis zum frühen 20. Jahrhundert noch kleine Weingärten antreffen konnte.

Den pittoresken Randbezirken, in denen dorfähnliche Strukturen mit dem Grün der Weingärten verschmelzen, sind einige der schönsten Gemälde im Leopold Museum gewidmet. Tina Blau und Carl Moll zeigen etwa Motive aus Grinzing, dem Inbegriff der Wiener Weinkultur. Während die berühmte Malerin 1910 eine Kellergasse zum Bildsujet machte, entschied sich Moll in den frühen 1930er-Jahren für einen Fernblick auf die barocke Kirche, die sich farbig und formal harmonisch in die Weingärten einfügt. Der Himmel ist blau, ruhig vibriert die Luft im sommerlichen Sonnenschein. Noch fehlen die Gäste, die Johann Strauß‘ Walzer Wein, Weib und Gesang von 1869 einstimmen oder auch bei Hans Mosers berühmtem Reblaus-Lied von 1940 mitsummen würden:

„I weiß ned was des is i trink so gern a Flascherl Wein
Da muaß goar ka bsondrer Anlass oda Sunntog sein
I sitzt oft stundnlang allein auf einem Fleckerl
In einem Weinlokal in einem stillen Eckerl
Am anderen Menschen wäre das vielleicht zu dumm
Nur ich bin selig dort und ich weiß warum
I muaß im frühern Lebn eine Reblaus gwesen sein
Ja, sonst wär die Sehnsucht nicht so groß nach einem Wein.“

Aber vielleicht wird auf Sergius Pausers  Kahlenbergstraße (vor 1928) gerade ein Heurigenlied angestimmt. Dass der edle Tropfen aus einem Design-Klassiker von Josef Hoffmann, Koloman Moser oder Otto Prutscher kommt, ist hingegen unwahrscheinlich.

Diese Gemälde huldigen einer Weinkultur, die kurz vor 1900 nahezu ausgerottet wurde: Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Reblaus aus Amerika eingeschleppt. In den folgenden Jahrzehnten brachte das winzige Insekt mit scharfen Zähnen und Saugrüssel ganze Weinregionen zum Verdorren. Hatte Ferdinand Georg Waldmüller noch 1840 in einem Traubenstillleben die Schönheit der samtig glänzenden Frucht minutiös gepinselt, so mussten Weingartenbesitzer*innen wenige Jahre später um ihre Pflanzen fürchten. Durch das Aufpfropfen europäischer Weinsorten auf resistenten amerikanischen Wurzelstöcken gelang es, die Weinkultur in Europa zu retten.

Beredtes Zeugnis für den Erfolg der Rettungsaktion sind die 1917 entstandenen Werke eines Wiener und eines Berliner Künstlers: Egon Schiele und Lovis Corinth.

Schiele dokumentierte einen Weinkeller in Wien Floridsdorf. Der Künstler schuf die Zeichnung vermutlich während seines Kriegsdienstes im Auftrag der „k.u.k. Konsumanstalt für die Gagisten der Armee im Felde“, ansässig in der Wiener Mariahilfer Straße. Er hatte Glück, denn sein Vorgesetzter, Oberleutnant Dr. Hans Rosé, war bemüht, „Künstlernaturen oder was er dafür hielt“ die Härten des Militärdienstes zu ersparen. Mitten im Ersten Weltkrieg widmete sich Egon Schiele einem Weinlager – vermutlich in Stammersdorf, wo sich auch heute noch einige der bekanntesten Heurigen der Stadt befinden. Im selben Jahr publizierte Lovis Corinth Das ABC in Bildern, eine Mappe mit 25 Lithografien. Der Buchstabe W brachte den Maler auf die Idee, das Motto „Wein! Weib! Gesang!“ künstlerisch umzusetzen. Das einst irrtümlich Martin Luther zugeschriebene Wort – „Wer nicht liebt Wein, Weib, Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang“ – verkürzte Corinth zu einer emphatischen Forderung und ließ eine ausgelassene Gesellschaft den Buchstaben umranken. Der Weinfröhlichkeit scheint keine Grenze gesetzt zu sein, lockert doch der Rebensaft Zunge wie Sitten. Ist Schieles Blick in den Weinkeller als Vergewisserung von Lagerstand und Vorratshaltung zu deuten, so lässt der Präsident der Berliner Secession in der genrehaften Darstellung seinem  Hang zum sinnlichen Genuss freien Lauf. Wirtschaft und Wohlergehen, Wien und der Wein – wirklich eine spannende, überaus wechselhafte Geschichte.

Beitrag von Alexandra Matzner