BERTOLD LÖFFLER, Lithografie und Druck: Albert Berger, Wien für die Wiener Werkstätte Eröffnungsplakat zum Cabaret Fledermaus, 1907 © Leopold Museum, Wien Foto: Leopold Museum, Wien/ Manfred Thumberger
Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog
KÜHLE ELEGANZ
CABARET FLEDERMAUS: SCHICKSAL EINES ETABLISSEMENTS
Auf der Rückreise in die Schweiz, im ratternden Zug sitzend, skizziert 1907 der junge Architekt Charles-Édouard Jeanneret-Gris aus der Erinnerung Details eines Nachtclubs im Herzen Wiens: Die schmale, nierenförmige Bühne ist von allen Bereichen des Zuschauerraums mit Empore einsehbar. Hellgrauer Marmor säumt die Wände. Zierliche, eigens für das Etablissement entworfene Tische und Armlehnstühle sind zu Kleingruppen versammelt. Das Publikum verfolgt das abwechslungsreiche Bühnenprogramm und genießt das hervorragende kulinarische Angebot. Die Speisen werden in Silberserviergefäßen kredenzt, die ebenfalls für das Lokal erschaffen wurden – ein einheitliches Design, in dem sogar die Anstecknadeln des Servierpersonals gehalten werden. Josef Hoffmann macht keine halben Sachen: Sein Kabarett Fledermaus ist ein glänzendes Beispiel für ein Gesamtkunstwerk der Wiener Werkstätte. Der junge Schweizer wird seinerseits Jahre später unter dem Künstlernamen Le Corbusier Architekturgeschichte schreiben. Nicht nur er ist fasziniert: Personen aus der besseren Wiener Gesellschaft werden nach der Eröffnung der Fledermaus in Scharen heraneilen, um an der Ecke Kärntnerstraße–Johannesgasse die Treppen hinabzusteigen und in einem bukolisch bunten Bar-Raum zu landen, der rundum von handgefertigten folkloristisch-witzigen Keramikplatten der Wiener Keramik bedeckt ist. Torkelnde, illuminierte Männchen mit Bierhumpen in ihren Händen teilen sich das Entrée mit fröhlichen fetten Putti, staksenden Flötenspielern, krähenden Hähnen, trillernden Vögelchen und anderen Kuriositäten. In diesem Ambiente origineller Leichtfertigkeit stimmt sich das vergnügungswillige Publikum bei einem ersten Drink auf einen unterhaltsamen Abend ein. Erst dann wird es an einzelne Tischchen geleitet, um sich bei erlesenem Dinner den Belustigungen auf der Bühne hinzugeben. Das Programm ist jedoch niveauvoll und avantgardistisch.
„(Wir wollen) in unserem Kabarett eine Stätte schaffen, die geeignet ist, durch ihre einheitliche und organische Durchbildung aller hier in Betracht kommenden künstlerischen und hygienischen Elemente einer wirklichen Kultur der Unterhaltung zu dienen.“
Josef Hoffmann
Am Eröffnungsabend gibt man Masken von Peter Altenberg. Auch Oskar Kokoschkas Groteske Sphinx und Strohmann wird im Kabarett Fledermaus uraufgeführt und bereits 1908 sein Schattenspiel Das getupfte Ei. Arthur Schnitzlers absurdes Stück Der tapfere Cassian und Eduard Josef Wimmer-Wisgrills Tanzspiel Die Spieldose werden ebenfalls dargeboten.
Höhepunkte des Programms sind die Tanzmatineen Grete und Else Wiesenthals, beide an der Hofoper ausgebildete klassische Balletttänzerinnen, die mit ihrer Schwester Berta auf der schmalen Bühne ihren modernen Ausdruckstanz präsentieren – mit schrägen Schwüngen und Drehungen interpretieren sie unter anderem den Wiener Walzer vollkommen neu.
Als Geschäftsführer der Fledermaus wirkt Fritz Waerndorfer, der auch die Geschicke der Wiener Werkstätte lenkt – in beiden Instituten mit mäßigem wirtschaftlichen Erfolg. Die höchsten ästhetischen und inhaltlichen Ansprüche sind hier wie da nicht gerade förderlich, Gewinne zu schreiben. Nicht einmal die Erfolgsstücke von Egon Friedell und Alfred Polgar können etwas daran ändern. Nach anfänglicher Neugierde bleibt allmählich das qualitätsverwöhnte Wiener Publikum aus. Liegt es womöglich an der Inneneinrichtung?
Von der bunten, fröhlichen Anmutung des Barraumes abgesehen, strahlt das Interieur mit seinen schachbrettgemusterten schwarzweißen Böden, den hellen Putzwänden und den aus lichtgrauem Marmor gefertigten Lambrien kühle, aseptische Eleganz aus und atmet hygienisch einwandfreie Noblesse – nicht gerade der Erwartungshaltung unterhaltungssüchtiger Nachtschwärmer*innen entsprechend. Haben sich diese nicht viel mehr dunkelroten Plüsch erhofft, von dem man gar nicht so genau wissen muss, was bereits alles hineingesickert ist? Oder sogar goldlackierte Gipsdekorationen, welche die Anmutung einer vibrierenden, vor Laszivitäten strotzenden Traumwelt in sich tragen würden?
Bereits 1909 wirft Waerndorfer das Handtuch und die Fledermaus wird verkauft. Hugo Stein, der neue Eigentümer des Lokals, lässt die eleganten Wiener Werkstätten-Türen rosarot lackieren und ein paar lüsterne Faune an die Wände malen – so lässt sich die elegante Kühle des Etablissements ein ganz klein wenig brechen.
Beitrag von Markus Hübl