Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog

Im Prater blühen

wieder die Bäume

Tina Blau-Langs lakonischer Blick

auf die Landschaft

Leise knirscht der Kies unter ihren Füßen. Der Boden ist trocken und ausgetreten. Langsam und bedächtig schiebt die Dame in schlicht-elegantem Kostüm und breitkrempigem, üppig dekoriertem Hut einen geflochtenen Wagen mit großen Rädern vor sich her – heraus kragt eine beachtlich große Leinwand, auf der eine Parklandschaft prangt. Auch Malutensilien werden in dem geräumigen Gefährt transportiert – Ölfarben, Lösungsmittel, eine klappbare Staffelei, Pinsel und Palette. Die betagte Landschaftsmalerin Tina Blau trotzt allen Wetterkapriolen. Den Wiener Prater – jenes ehemalige Jagdgebiet des Kaiserhauses, das Joseph II. für das Volk geöffnet hat, um gegen den Willen des Hochadels ein Naherholungsgebiet von unschätzbarem Wert zu schaffen – nutzte die Künstlerin schon seit früher Jugend als Labor für ihr Schaffen. Rund um ihr Prateratelier fand sie immer wieder neue Motive: die Trabrennbahn im Hintergrund, davor angeschnittene Baumriesen. Tina Blau deklinierte den Prater förmlich durch. Bereits in jungen Jahren hatte die gebürtige Wienerin begonnen, ihren unsentimentalen Blick auf die grüne Lunge ihrer Heimatstadt zu lenken und mit unnachahmlicher Stringenz den frischen koloristischen Reiz einfacher Motive auf die Leinwand zu bannen. Durch das klare Licht und die lakonische Schilderung kleiner alltäglicher Szenen strahlten ihre Werke eine lebendige Unmittelbarkeit aus. Neben den düster-ocker-bräunlichen Salonbildern der männlichen Kollegen mussten sie wie ein Fenster in eine wahrhaftige Natur gewirkt haben.

1877 war Tina Blau in das Prateratelier eingezogen – Emil Jakob Schindler hatte sie eingeladen, sich dieses mit ihm zu teilen. Die beiden waren sich in Haslau an der Donau beim Malen unter freiem Himmel begegnet. Der Stimmungsimpressionist und Malpädagoge soll erstaunt gewesen sein, als er gemeinsam im Tross mit Eugen Jettel, Hugo Charlemont, Franz Rumpler und Julius Victor Berger die junge Kollegin mutterseelenallein am Damm des Flusses bei ihrem professionellen Tun angetroffen hatte – keine Anstandsdame an ihrer Seite. Eine selbstbestimmte, zielstrebige junge Frau, die wusste, was sie wollte. Schnell freundete man sich an und Jahre des künstlerischen Austauschs und gemeinsame Malreisen nach Ungarn, Italien und in die Niederlande sollten folgen. Als Schindler jedoch versuchte, Tina Blau in die Nebenräume des Praterateliers zu verdrängen, wurden Spannungen unausweichlich. Sie ließ sich nicht unterkriegen. Letztendlich überließ ihr Schindler das Atelier im grünen Prater – der lukrative Auftrag, die dalmatische Küste für das Kaiserhaus zu dokumentieren, erlaubte ihm, das Schloss Plankenberg zu pachten und dort das österreichische Pendant zur École de Barbizon zu etablieren. Tina Blau blieb dem Kollegen freundschaftlich verbunden.

In München unterrichtete sie zehn Jahre lang an der Damenakademie des Künstlervereins, wo sie als erste Lehrerin die neu gegründeten Fächer für Landschafts-, Stillleben- und Blumenmalerei betreute. Zurück in Wien leitete sie den Kurs für Landschafts- und Stilllebenmalerei an der kurz zuvor etablierten Kunstschule für Frauen und Mädchen – die Akademie der bildenden Künste war damals den Frauen noch verschlossen. Doch die Malerinnen organisierten sich bereits und vernetzten sich zusehends, wobei sie auch ihren eigenen Blick auf die Welt, vor allem auf die Landschaften, entwickelten. Dies einte Tina Blau mit ihren herausragenden Kolleginnen Olga Wiesinger-Florian, Marie Egner, Leontine von Littrow und anderen. Tina Blau unterrichtete bis ein Jahr vor ihrem Tod und war auch anderwärtig hochaktiv: In Hofgastein malte sie trotz ihrer Herzinsuffizienz noch eine Serie von Bildern und Studien. Wegen ihrer gesundheitlichen Probleme reiste sie im Herbst 1916 verfrüht nach Wien zurück, wo sie kurz danach an Herzversagen starb. Bis zuletzt hatte dieses Herz für den Prater geschlagen – sein frühlingshaftes Erblühen war ihr Motiv und pionierhafte Leidenschaft zugleich gewesen.

 

Beitrag: Markus Hübl