Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog

"Dann ist er Neukünstler"

Egon Schiele und Anton Faistauer

Egon Schiele konnte als Sohn eines Bahnhofvorstands im gesamten Schienennetz der Habsburgermonarchie gratis mit der Eisenbahn fahren und tat dies auch häufig. Immer wieder nahm der den Zug nach Krumau, dem Geburtsort seiner Mutter, machte Reisen nach Triest, Kärnten, Vorarlberg, Tirol und auch nach Salzburg.

Die Salzburger Festspiele wurden ja erst 1920 gegründet, die Stadt war aber natürlich auch zuvor ein Zentrum der Kultur. Stefan Zweig kaufte 1917 eine Villa am Kapuzinerberg und Thomas Mann, Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler oder auch James Joyce gingen dort ein und aus. Im selben Schlösschen hatte Nannerl Mozart den Töchtern der damaligen Besitzerin Klavierunterricht gegeben und war ihr Bruder Wolfgang Amadé gern gesehener Gast. Auf der anderen Seite der Salzach befindet sich heute das Festspielhaus mit den berühmten Fresken von Anton Faistauer.

Faistauer stammte aus einer Salzburger Bauernfamilie und sollte Priester werden. Seine Liebe zur Malerei war aber stärker als seine Berufung (wobei Kunst natürlich immer auch Religion ist), und er ging zum Studium nach Wien, wo er in der Akademie der bildenden Künste Egon Schiele kennenlernte. Mit ihm und anderen Studienkollegen trat er nach dreijährigem Studium aus Protest gegen den konservativen Unterricht 1909 aus der Akademie aus und gründete die „Neukunstgruppe“. Im Dezember des Jahres stellten sie gemeinsam im Wiener Kunstsalon Pisko aus. Das Plakat dazu stammte von Anton Faistauer, das Manifest von Egon Schiele: 

„Der Neukünstler ist und muß unbedingt selbst sein er muß Schöpfer sein er muß unvermittelt ohne all das Vergangene und Hergebrachte zu benützen ganz allein den Grund bauen können. Dann ist er Neukünstler.“

Dieser Neukünstler muss – laut Schieles Manifest – auch allein existieren können, und tatsächlich arbeitete die Gruppe nur lose zusammen. Durch den Beginn des Ersten Weltkriegs wurde sie endgültig in alle Winde zerstreut, Faistauer ging zurück nach Maishofen im Pinzgau und Schiele wurde zum Militärdienst nach Prag eingezogen, von wo er über Mühling bei Wieselburg schließlich nach Wien abkommandiert wurde, wo er im k.u.k. Heeresmuseum wieder auf Anton Faistauer stieß, mit dem er während der letzten Kriegsmonate gemeinsam Kriegsbilderausstellungen organisieren durfte.

Egon Schiele starb am 31. Oktober 1918 an der Spanischen Grippe, nur wenige Tage vor Kriegsende. Anton Faistauer kehrte wieder nach Salzburg zurück, wo er zusammen mit dem Maler Felix Albrecht Harta, der Egon Schiele einige Male als Modell gedient hatte, die radikale Künstlervereinigung „Der Wassermann“ gründete.

Felix A. Harta war kein Studienkollege von Schiele und Faistauer, sondern stieß erst kurz vor Ausbruch des Weltkriegs auf die Neukünstler. Er war zwar in Wien aufgewachsen, hatte aber an der Münchner Akademie studiert. Die bayrische Hauptstadt zählte um 1900 etwa eine halbe Million Einwohner, war im Vergleich zur Zwei-Millionen-Metropole Wien also klein, aber im Besitz einer sehr lebendigen Kunstszene, in welcher es bereits sieben Jahre vor Wien zur Gründung einer Secession gekommen war: Eine Gruppe von Künstlern hatte sich 1892, im Vorfeld der Chicagoer Weltausstellung, von der Münchner Künstlergenossenschaft abgespalten, um sich gegen die konservative Ausstellungspolitik des staatlichen Kulturbetriebs zu wehren.

Für Egon Schiele war Salzburg oft auch nur ein Zwischenstopp auf seinen Reisen nach München, die einzigen Reisen, die ihn die Grenzen des Habsburgerreichs überschreiten ließen. Grund dafür waren unter anderem die Bücher des Münchner Piper Verlags, vor allem aber die Galerie Goltz, deren Einsatz für die Kunst des deutschen Expressionismus Egon Schiele beeindruckte und die bereit war, auch sein Werk auszustellen. Doch über das beeindruckende Netzwerk der Galerie Goltz und Schieles Aufenthalte in München das nächste Mal mehr.

 

Beitrag von Stefan Kutzenberger